Via della Pace – der Friedensweg

Der Karnische Höhenweg 403

Auf der Suche nach neuen Abenteuern ging es vom Meer in die Berge und – ohne zu wissen, welcher Virus mich da packen würde – saß ich 2022 in der Ausbildung zum Bergwanderführer. Wie das Schicksal so spielt, traf ich auf Vroni, die seit ihrem 8. Lebensjahr hochalpin unterwegs ist… und plötzlich kam über meine Lippen „Der Karnische Höhenweg muss wunderschön sein, aber ich glaube, soweit bin ich noch nicht…“ „Aber das schaffst du sicher!“ gab Vroni zurück. „Ich wollte ohnehin auch wieder mal gehen – wenn du willst, gehen wir gemeinsam!“ 

Gesagt – gehört – getan. 

 

 

*(alle Meter-Angaben im Text sind Höhenmeter)

 

 

7. September 2023 – Anreise und Aufstieg 

 

Es wird ernst. Träumen ist eines – aber tun ein anderes. Und ich bin nicht sicher, ob ich genug getan habe, um den Karnischen Höhenweg gut bewältigen zu können. War ich doch bisher eher auf Meeresspiegel und erst die letzten Jahre in den Bergen unterwegs. Mit etwas Aufregung und gleichzeitiger Vorfreude drehe ich den Schlüssel in meiner Haustüre und schließe ab.

Aus dem bisherigen Wandersommer nehme ich nur eine kleine Blessur am Fuß mit und hoffe, mein vor Jahren eingerissener Meniskus wird keine Probleme machen. Sicherheitshalber packe ich den alten Kniestrumpf ein. Trainieren konnte ich wetter- und arbeitsbedingt lediglich bis 1200 Höhenmeter. Neue Schuhe, jedoch altbewährte Marke, an den Füßen steige ich beim Bahnhof in Villach aus dem Auto und lasse alles zurück, was bisher zu meinem alltäglichen Leben gehört.

 

Langsam weicht der Zweifel der Neugierde. Am Bahnsteig nach Lienz warte ich auf Vroni, die den Höhenweg schon 6 x gegangen ist, zuletzt vor 6 Jahren, und Erinnerungen auffrischen möchte. Alles im Rucksack, was unbedingt nötig ist, kein Gramm zu viel, denn ich muss es die nächsten Tage durch alle Höhen und Tiefen tragen. 

Das Wetter könnte schöner nicht sein – offenbar wurde auch dieser Wunsch erhört und die nächsten Tage sollen die schönsten des Sommers werden. Sogar auf 2000 m soll es 16 Grad haben! Dennoch habe ich Haube, Handschuh und warme Kleidung dabei. Die Berge können immer überraschen.

 

Da ist sie! Ich winke und wir steigen in den Zug. Vorfreude leuchtet auch aus Vroni’s Augen als wir uns gegenüber sitzen und unsere Packgeschichten erzählen. Wir haben beide mehrmals umgepackt. Vroni kennt die Berge wie ihre Westen- oder besser gesagt Rucksacktasche. Während sie mir im Schnellverfahren die Berge der Tour aufzählt, merke ich mir kaum die Namen. 

 

In Lienz noch ein schneller Espresso und es geht weiter nach Sillian und auf die Leckfeldalm. Die Bäuerin dort erzählt von den Unwettern, den massiven Porkenkäferschäden und wir haben uns schon im Zug gefragt, warum es so viele braune Flecken in den Wäldern gibt. Die Förster kommen nicht nach, die befallenen Fichten zu fällen. Wir erfahren, dass der Befall vor 200 Jahren so massiv war, dass es laut Gemeindechronik gar keine Wälder mehr in der Gegend gab! Leider machte man den Fehler, Monokulturen zu pflanzen, sodass sich der Schädling ungehindert ausbreiten kann. Traurig schaue ich auf die vielen gelb werdenden Nadeln der Fichten – schon ganz junge sind betroffen und sterben ab.

 

Auf der Leckfeldalm angekommen, werden die Wasserflaschen gefüllt, noch ein Johannisbeer-Wasser getrunken und wir beginnen mit dem Aufstieg. Ein paar Bergsteigerdörfer unterhalb der Routen dienen der Akklimatisation vor der Höhenwanderung – wir wollen es jedoch gleich wagen. 

Der Tagestourismus wird weniger. Mountainbiker kommen uns auf ihrem Rückweg ins Tal entgegen. Es wird ruhiger. Und weiter… und höher.

Wir sehen das Heimkehrerkreuz, welches auf dem 2.373 Meter hohen Schützenmahd errichtet wurde und die Sillian-Hütte noch klein am oberen Kamm, aber stetig näher kommend.

„Hinter der nächsten Biegung gibt es eine Überraschung!“ meint Vroni – und ich hole aus. 

 

…WOW… da steh ich… staunend… welch ein Anblick!

2450 m über dem Meer schaue ich den Südtiroler Dolomiten in die Augen.

 

Es ist noch ruhig auf der Sillianer Hütte, wir sind früh dran. 1983 statt einer alten Hütte neu erbaut und 2019 großzügig modernisiert, bietet die „Hütte“ ein klares, modernes Ambiente mit traditionellen Elementen. Der Standort ist überwältigend, am Beginn bzw. Ende des Karnischen Kammes, mit Blick auf das Pustertal und traumhaften 360 Grad Ausblick auf die Sextener Dolomiten, die Ötztaler-, Stubaier-, und Zillertaler Alpen, die Villgrater Berge, das Venediger- und Glocknergebiet sowie die Lienzer Dolomiten. 

 

Alle Hütten am Höhenweg sind Alpenvereinshütten mit Pächterfamilien, die sie Juli bis Ende September bewirtschaften. Auf Vroni’s Empfehlung habe ich mir genügend Bargeld eingesteckt – denn hier wird keine Karte akzeptiert. Günstig sind die Hütten alle nicht – man muss mit 80 bis 100 Euro pro Nacht inkl. Verpflegung rechnen, egal wie man in den Mehrbettzimmern untergebracht ist. Geschlafen wird mit Hüttenschlafsäcken, die Bettwäsche wird nur im Notfall gewechselt. Es wird nach Platz und Zugehörigkeit eingeteilt, Burschen wie Mädels in einem Zimmer. Wir haben den Luxus eines 2-Bett-Zimmers, da sich die Chefin noch an Vroni erinnerte und die Hütte nicht voll ist ;-) Einige Höhenweg-Wanderer steigen erst bei der nächsten Hütte ein.

 

Wir spüren die Höhe und sind durstig. Je ein großer Soda-Radler zischt unsere Kehlen hinab und wir genießen die Abendsonne auf der Terrasse mit Blick auf die Dolomiten. Vroni erzählt mir einiges über den Höhenweg:

 

Der Karnische Höhenweg, kurz KHW 403 wird auch als "Friedensweg", "Via della pace" bezeichnet und ist ein herausragendes Erlebnis für Wanderer, Kletterer, Geologen und Naturliebhaber. In seiner Vielfalt gehört er zu den schönsten Weitwanderwegen Europas. Zwischen Sillian und Thörl-Maglern führt er entlang am Kamm der Karnischen Alpen an der Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien. Er ist rund 150 km lang und führt durch ein landschaftlich einzigartiges Gebiet.

Nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 erstreckte sich die Front von der Adria bis zum Ortler. Hunderttausende Soldaten sind in diesem Gebirgskrieg gefallen. Noch heute gibt es in diesem Frontabschnitt viele Relikte wie Stellungen, Schützengräben, Kavernen und Bunker.

Mit dem Friedensvertrag vom 10. Sept. 1919 in St. Germain wurden die Grenzen neu gezogen und 1920 die Grenzsteine gesetzt. Der Verein Dolomitenfreunde unter Oberst Walther Schaumann hat in den Jahren von 1973 bis 1982 die alten Wege, Stellungen und Kavernen wieder instandgesetzt. 

 

Der KHW kann in zwei Teilabschnitten gesehen werden. Den hochalpinen, bergnahen oberen Teil von Sillian bis zur Valentinalm und den leichteren Wanderweg entlang weitflächiger Almböden bis zur Feistritzer Alm in Thörl Magglern. Wir haben uns den hochalpinen Teil mit rund 60 km in 5 Tagen vorgenommen. 

Der Helm (2433 m) mit der alten Helmhütte in Südtirol gilt als westlicher Beginn der karnischen Alpen. Erbaut in den Jahren 1889 und 1890 wurde der Stützpunkt in den 1970er Jahren endgültig aufgelassen. Seither steht das Helmhaus leer und ist dem Verfall preisgegeben. Unterhalb beginnen auch die Ruinen der alten Millitäranlagen, die uns den ganzen Höhenweg entlang begleiten werden. 

 

Auch geologisch werden wir so einiges sehen. Die Karnischen Alpen gehören zu den 100 wichtigsten geologischen Regionen der Erde und es kommen Geologen aus der ganzen Welt, um sich diese Phänomene vor Ort anzusehen. Am Nordrand des Gebirges, im begleitenden Gailtal, verläuft die periadriatische Naht, die geologische Grenze zwischen den Kontinentalplatten von Afrika und Europa. 

 

Wir befinden uns also auf mehreren „Nahtstellen“ dieser Welt und umso mehr möchte ich achtsam all diese Eindrücke in mich aufnehmen. 

 

Traumhaft beginnen sich die nackten Felswände visavis zu verfärben und die Sonne will sich hinter ihnen zur Ruhe begeben. Ein überwältigender Sonnenuntergang wird uns geschenkt, der einem grandiosen Sternenhimmel weicht.

 

 

1. Etappe: Sillianer Hütte - Obstansersee Hütte

 

Frühstück gibt es auf den Hütten nur zu fixen Zeiten, also heißt es, um 6.30 Uhr aufstehen. Der Blick aus dem Fenster entschädigt mich jedoch sofort mit rosaroten Bergspitzen. 

Erste Gespräche entstehen am Frühstückstisch und wir finden vier  Wanderkollegen mit selbiger Route. Die Etappe geht von der Sillianer Hütte zur Obstanserseehütte, ca. 4-5 Stunden für ca. 9 Kilometer Gipfelpfad. Am Weg liegen das Hornischegg (Hornischeck) (2.551 m), das Hollbrucker Eck (2.573 m) und Mitteleuropa's höchstgelegener Kriegerfriedhof Hochgränten.

 

Gleich vor der Hütte erspähe ich einen Grenzstein von 1920 und erfahre, dass sie die Wasserscheiden als Grenze markieren, auf einer Seite ein „I“ für Italien und auf der anderen Seite ein geändertes „D“ zu einem „Ö“ ;-) Wir sind also die meiste Zeit mit einem Fuß in Österreich und mit dem anderen in Italien.

Am Weg begrüßen uns die Zackenkrone der Dreischusterspitze und die Drei Zinnen, die Sextener Sonnenuhr mit Neuner, Zehner, Elfer, Zwölfer und Einser. Weiter südlich der „Monte Peralba“ oder Hochweißstein und im Osten die filigranen Felszacken der friulianischen Dolomiten Hochgränten – aber auch die verfallenen Baracken und Schützengräben der tapferen Soldaten vergangener Zeit. 

 

Der blitzblaue Himmel ohne eine einzige Wolke über uns, vielfältigste Flora zu unseren Füßen. Und dazwischen der Ausblick auf die schönsten Bergspitzen Österreichs. Ich bin in einer anderen Welt – alles was sich da unten im Tal abspielt, ist unwichtig geworden. Ich fühle eine Ruhe und Einklang mit der Schöpfung in mir, wie schon lange nicht mehr.

 

Anfangs ist der Weg noch lieblich, wechselt aber dann von felsig-steinig mit Kletterpassagen wieder hinab zum Hochgräntensee, wo der Kriegerfriedhof liegt. Vier österreich-ungarische Soldaten sind hier begraben. Kaum vorstellbar, dass an diesem wunderschönen, jetzt so friedlichen Ort Kämpfe stattgefunden haben. Wir entdecken auch die Reste der Versorgungsseilbahn nach Hollbruck und einige Baracken, Lager und Schützenbunker.

 

Seltene Pflanzen, wie der Gletscher-Petersbart, begleiten uns über grobes Blockwerk neben den Gipfeln von Demut, Schöntalhöhe und Eisenreich mit seinem rostfarbigen Gestein. Wir sehen auch ein erstes Schneehuhn in den Felsblöcken und neben dem Pfad viele Eingänge in Murmeltierbauten. 

Tatsächlich grüßt uns der  Großglockner mit seinem mittlerweile nackten Felsgipfel, der Großvenediger und die höchsten Gletscher, die trotz der warmen Jahreszeit noch weiß heraus leuchten. 

 

Am Abstieg zur Obstanserseehütte wechselt das Gestein von Silikat zu Kalk. Der Pfad wird unwegsam und wir müssen mit den Oberschenkeln abfedern. Bisher bin ich immer ohne Stöcke gewandert, ich kann so schneller von Stein zu Stein steigen, aber auf längere Distanz ist es doch anstrengend und ich spüre bereits meine Oberschenkelmuskeln. Nach 40 Minuten abwärts sind wir beim Obstanzer See. Glasklares eiskaltes Wasser empfängt uns und kühlt unsere Füße. 

 

Die erste Hütte hier auf 2300 m wurde 1929 erbaut, 1942 eingenommen als Zollwachhütte, demoliert und 1949 von der Familie Bodner saniert und bis heute bewirtschaftet. Ein Kleinkraftwerk und eigene Kläranlage schafft Autarkie. Die Versorgung erfolgte früher mit Rücken-Tragen - heute mit Hubschrauber und ist dementsprechend teuer.

Die Bodner-Tochter führt hier freundlich, aber bestimmt mit zwei weiteren Mädls das Regiment. Der Hüttenwirt ist wortkarg im Hintergrund. 

Wir bestellen wieder Sodaradler – er wird unser Ankunftsgetränk, das Elektrolyte zurückgibt und wunderbar erfrischt. Ich erspähe Tiroler Graukäse mit Essig und Öl  in der Speisekarte und wir bestellen zwei Portionen – mmmmmmmhhhh – unglaublich lecker!!

 

Die beiden Hüttenkühe Mimi und Braundl sind zutraulich und nehmen gern die Schafgarbe aus meiner Hand. 

In der Nähe gibt es eine riesige Eishöhle, die jedoch nur mit Klettersteig ohne Sicherung erreichbar ist. Ich bezwinge meine Neugierde, als ich die Bilder sehe. Es wird auch ein Wanderer vermisst, der dorthin wollte. Der Hubschrauber sucht nach ihm, während er die Hütte versorgt. Und ich traue meinen Augen nicht, als er ein zweites Mal anfliegt ... was trägt er da am Lastenseil!!! (siehe Video!)

 

Die Hütte ist voll – teilweise mit Gästen, die nur für eine Nacht bleiben – andere beginnen erst hier ihre Etappe über den Einstieg von Kartitsch, so auch ein Sohn mit seinem Vater aus Ried im Innkreis, dem er die Wanderung als "Sohn-Zeit" zum Pensionsantritt geschenkt hat.

 

Unser Schlafplatz ist eng – wir sind in einem 5-Bett-Zimmer, wobei „Bett“ übertrieben ist! Es ist ein Matranzenlager mit 60 cm Breite pro Person.

Ein Kärntner Wanderkollege und Zimmergenosse meint: „Ich sag‘s gleich, ich schnarche!“ Worauf ich antwortete, „Kein Problem, ich hab da Erfahrung und mache dann ein lautes „TzTzTz oder ein scharfes Schschsch“! Er lacht und meint, „Ja, das hilft, das macht meine Freundin auch immer!“ – Damit ist das geklärt ;-) Ein junges holländisches Pärchen sind die anderen Zimmergenossen, die wir in Folge noch bei jeder Hütte treffen sollten. Sie haben sich viel Zeit genommen und wollen den gesamten Höhenweg gehen.

 

Ich versuche Milch von Mimi und Braundl mit Honig als Schlafgetränk, aber leider hilft es nicht viel – der Platz ist einfach zu eng und wir stoßen uns immer wieder gegenseitig an. So wird es eine sehr unruhige, nicht erholsame Nacht.

 

 

2. Etappe: Obstansersee Hütte – Porze Hütte

 

6.30 Uhr Tagwache...

...genau dann, als ich endlich hätte schlafen können.  

 Gefühlte 2 Stunden Schlaf bringen mich zu einer Tasse Kaffe und einer Schüssel Joghurt (von Braundl) mit Früchten. Gleich danach geht es zum steilen Aufstieg, vorbei am Rosskopf, über ein Geröllfeld zur Pfannspitze (2678 m). 

 

Aber es wartet ein Geschenk auf uns, das mich alle Müdigkeit und Anstrengung vergessen lässt...

Als wir auf das Geröllfeld einbiegen, ist vor uns kein einziger Wanderer und plötzlich hören wir Schneehühner schreien… und sehen – wir trauen unseren Augen kaum – unzählige Junge ganz ohne Hektik unseren Weg kreuzen!

Ich versuche, sie mit meiner Handykamera einzufangen (siehe Video).

 

Wir verbringen 15 Minuten mit den Schneehühnern, bevor sie außer Sichtweite sind. 

Dankbar und glücklich steigen wir weiter auf… es wird steiler… und wir müssen klettern. Ich habe die Kappe auf und stoße mir den Kopf an einem Felsvorsprung – tja – eine kleine Beule lehrt mich: Kappe seitlich drehen, damit man sieht, was ober einem ist 🙄

 

Am engen Gipfel sind 6 Leute schon zu viel. Dennoch setzen wir uns kurz hin, um die grandiose Aussicht zu genießen...

Dann geht es weiter am schmalen Grat des karnischen Kamms Richtung Großer Kinigat (2689 m)  – einen der markantesten Gipfel auf unserem Weg. 

Das sog. Europakreuz am Kinigat ist 7 m hoch und von 12 Sternen umrahmt. Es soll als Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung dienen.

Bei der Kreuzeinweihung in beiden Sprachen wurde am Fuß des Bergkreuzes eine Gedenktafel angebracht mit der zweisprachigen Aufschrift: 

„Für ein geeintes christliches Europa in Frieden und Freiheit. Zum Gedenken an alle, die entlang dieser Grenze auf beiden Seiten gekämpft haben und gefallen sind. NIE WIEDER KRIEG !!!“ ( Papst Paul VI. )“

Seit 1979 steht nun das Europakreuz als Mahnmal auf dem geschichtsträchtigen Berggipfel und weitet den Blick nach allen Seiten mit dem Auftrag zu friedlicher und freundschaftlicher Begegnung.

 

Gleich hinter dem Kinigat und  seinem riesigen Schuttfeld, das es zu queren gilt, liegt die Filmoor-Standschützen-Hütte auf 2360m. Dort geht es immer fröhlich zu, denn der eiskalte Naturbrunnen ist immer mit Radler gefüllt. Man nimmt sich einfach und zahlt.  

Ich entdecke eine kleine Überraschung – eine Schaukel ist am Dachfirst der Hütte montiert mit Blick ins Tal... das lasse ich mir nicht entgehen ;-)

 

In den 1970er Jahren begann der Verein der Dolomitenfreunde unter der Leitung von Walther Schaumann mit der Wiederherstellung des Karnischen Höhenwegs. Dies erforderte auch die Errichtung bzw. Wiederaufbau von Schutzhütten. Im Zuge dessen wurde im Jahr 1976 mit dem Bau der Filmoorhütte durch Angehörige des Landwehrstammregiments 64 Lienz (das heutige Jägerbataillon 24 des Österr. Bundesheeres) und freiwilligen Helfern aus dem Verein der Dolomitenfreunde begonnen. Die Finanzierung erfolgte hauptsächlich durch die Sektion Austria. Zur Erinnerung an die Gefechte während des Gebirgskrieges im Juli 1915 um Filmoor und Kinigat und den unermüdlichen Einsatz der Lesachtaler Standschützen bekam die Hütte den Namen „Standschützenhütte“.

Anfangs wurde die Hütte von Bundesheerbediensteten betreut, bis sie die Sektion Austria übernahm. Die Haflinger des Bundesheeres versorgten fast 30 Jahre lang die Hütte mit Holz. 1990 wurde eine kleine Schlafhütte gebaut und 2000 kam der Sanitärtrakt hinzu.

 

Vroni bestellt sich Ziegenkäse und ich einen Apfelstrudel mit Kaffee, bevor es aus dem Bergsteiger-Flair wieder abwärts zum Stucken-See geht, der zum Baden einlädt. Dort verbringen wir einige Zeit mit Kneippbädern, um dann weiter zur Porzehütte aufzusteigen. Der steinige Weg aufwärts, abwärts und wieder aufwärts zieht sich. Es ist sehr heiß und mein Wasser geht dem Ende zu. Ich pflücke Himbeeren am Weg. 

 

Endlich auf der Porzehütte (2003 m) angekommen, zischt der mittlerweile obligate Sodaradler in unsere trockenen Kehlen, bevor wir in ein Zimmer mit einem anderen Paar einchecken. Hier hat sich ein Architekt überlegt, wie man in Mehrbettzimmern Privatsphäre schaffen kann und es gelang durch Doppelkojen, die in verschiedenen Höhen angeordnet wurden. Die Betten darin sind normal breit und ich darf mich auf eine gute Nacht freuen. 

 

Zwei Kletterer unter den Wanderern nehmen den Klettersteig über die Porze – der jedoch nur für Geübte geeignet ist und ihnen so manches abverlangt. Sie kommen auch zu spät zum Abendessen und erzählen bewundernd von einem jungen Italiener, der mit klappernden Geschirr am Rucksack über die Klettersteige an ihnen vorbei "geflogen" ist...

Das Essen ist gut und reichlich, sodass ein Kaspressknödel in die Hosentasche wandert für den nächsten Wandertag. Ich ahnte noch nicht, wie gut der schmecken würde.

Diesmal hole ich mir eine Duschmünze – bisher habe ich mich nur kalt gewaschen. Für 3,50 Euro bekommt man auf den Hütten 2-3 min. warmes Wasser – es genügt gerade, sich einmal einzuseifen und abzuduschen. Haarewaschen geht sich nicht aus. Letzendlich ist es auch egal.

 

Wir treffen nun schon bekannte Gesichter und sitzen nach dem Essen plaudernd und scherzend zusammen.

Alle wollen die Schneehühner sehen – aber ich finde sie nicht gleich auf meinem kleinen Handy – ich bemerke, dass man die Hühner auf Fotos absolut nicht erkennen kann, und so muss ich einige Scherze einstecken. „Morgen zum Frühstück zeig ich sie euch – und wenn ich die ganze Nacht suche!“

Es dauert dann nicht ganz so lange – und das Lachen geht mit Vroni in der Koje noch weiter, die mir suchen hilft – bis ich endlich das richtige Video finde und ins Land der Schneehuhn-Träume eintauchen kann… 

 

 

 

 

3. Etappe: Porze Hütte – Hochweißsteinhaus

 

6.30 Uhr. 

Herrlich geschlafen! Endlich!

Gut gelaunt geht es zum Frühstück – auch um den Schneehuhn-Beweis anzutreten, der gebührend anerkannt wird 😉

 

Die Augen von allen sind etwas verschwollen – es ist der niedere Luftdruck, den wir nicht gewöhnt sind. Ursa­che für solche Was­ser­ein­la­ge­run­gen ist nach heu­ti­gem Erkennt­nis­stand die hypo­ba­re Hypo­xie (Sauer­stoff­man­gel wegen nied­ri­gem Luft­druck). Die klei­nen Blut­ge­fäsße (Kapil­la­ren) bekom­men mikro­sko­pisch klei­ne Lecks, so dass aus dem Blut Flüs­sig­keit in das umge­ben­de Gewe­be abge­presst wird. Die­ses Was­ser schlep­pt man dann mit sich rum, wenn der Körper es nicht loswird. Jetzt weiß ich auch, wieso meine Nase nachts so verstopft ist und immer am Beginn unserer Wanderungen tropft. Die Luft in dieser Höhe ist extrem trocken.

 

Heute steht die lange Etappe zum Hochweißsteinhaus an. Es liegen knapp 20 Kilometer vor uns über teilweise schwierige Passagen. 8-9 Stunden reine Gehzeit – etwas langsamer und mit Pausen also 10 Stunden – das wird anstrengend bei der Hitze. Ich nehme 2 l Wasser mit, mehr kann ich nicht tragen, der Rucksack ist schon schwer genug.

Diesmal beginnt der Tag mit einem zähen Aufstieg zum Bergkamm hinauf. Oben führt der Weg zunächst mäßig steil über einen ehemaligen Militärweg hinauf zum Tilliacher Joch (2210 m). Vor uns die imposante Porzespitze und im Süden die Felszacken der Crode de Longerin. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir das Bärenbadegg (2431 m) mit Blick auf den Großvenediger und Großglockner. Von hier geht es dem Kamm entlang auf österreichischer, oft auch auf der italienischen Seite weiter, über mehrere Gipfel und Törls.

Vom Steinkarspitz darf man sich auf etwa weitere 1,5 Stunden gefasst machen und ab dem Luggauer Sattel (2404 m) sind noch etwa 600 Höhenmeter bergab und etliche Höhenmeter steil bergauf bis zum Ziel, dem Hochweißsteinhaus auf „nur mehr“ 1868 m.

 

Der Weg ist lang. Das Wasser knapp. Den Füßen geht’s gut bis auf einen blauen Zehennagel. Die Schuhe sind für die langen Abwärtswege doch zu weich. Ich klebe mir die Zehe zu. Der Kaspressknödel schmeckt hervorragend auf der Steinkarspitze und ein paar Tutti frutti von Vroni versüßen den Ausblick, der mir immer wieder den Atem nimmt – so atemberaubend ist er! 

Wir treffen eine Herde kleiner Gebirgspferde, die mich sofort nach Chile in die Anden versetzen. Auch Lamas tragen dazu bei, dass ich mich gar nicht mehr in Österreich wähne und wir tauschen während des Gehens immer wieder Reisegeschichten aus. 

 

Einige Klettersteige liegen am Weg und die Pfade in den Steilwänden bin ich bereits gewöhnt. Auch die steilen Kletterwände gehen ganz gut. Ich denke bereits, ich hätte das Schlimmste hinter mir – bis die Steilwand über den Luggauer Böden in Sicht kam. Der schmale Pfad ist völlig „ausgesetzt“ ohne Schutz in der Bergwand, die mehrere hunderte Meter steil abwärts geht. Vroni lässt mich nicht lange überlegen – „Das geht schon! Ist nicht so schlimm, wie es aussieht!“ Ich schalte meine Gedanken ab und vertraue mich dem Berg an. An einer Stelle muss man einige Stufen hinuntersteigen – eine Tafel ist hier in der Wand „Die Liebe besiegt den Tod – Barbara Koch abgestürzt 2016“ – „Das ignoriere ich jetzt“ sage ich zu Vroni hinter mir und turne tapfer weiter. Doch dann... der Pfad war abgerutscht – nur zwei Trittflächen in Fußgröße waren vorhanden und man musste einen großen Schritt über den Abgrund auf einen schrägen Felsen ohne Sicherung machen, um auf die andere Seite zu kommen. 

„Scheisse.“ kam es aus mir heraus. Bisher war immer ich voraus gegangen – aber jetzt bitte ich Vroni mich zu überholen, was bei dem schmalen Pfad auch nicht einfach ist. Auch sie muss erst suchen, wie es gehen könnte… und zu sehen, wie sie es schafft, motiviert mich. – Ich steige auf die zwei kleinen Trittflächen, fasse mir ein Herz, und mache den großen Schritt auf den schrägen Fels – mit nichts unter mir. Nur meine Schuhsohlen und Finger halten mich im Berg. Eine völlig neue Erfahrung für mich in einer so ausgesetzten Lage. Wohin greifen? Vroni feuert mich an… und irgendwie bin ich plötzlich auf der anderen Seite!

Pfffff…. Das ist meine Grenzerfahrung in dieser Woche – eindeutig. Ein kurzes Danke an den Berg und weiter geht es. Die Gedanken bei dem Schild von vorhin. Barbara ist nicht alt geworden. Ich schicke ihr im Stillen einen Gruß. Vielleicht ist sie ja hier noch der Guardian Angel, der uns leitet.

 

Nach 8 Stunden kommt der Hochweißstein-Fels ins Sicht mit seinem Geröllfeld. Ein Klax. Vroni macht Pause an einem kleinen Teich. Die Sonne wird flacher und wir haben noch einen unwegsamen Abstieg und steilen Aufstieg vor uns. Dennoch sind wir fröhlich über das Geschaffte. Ich binde meine Schuhe so eng es geht und hole erstmals die Stöcke raus. Ich will versuchen, meine Zehen zu entlasten. 

Der obere Weg ist mit „ev. eisige Schneefelder“ ergänzt, sodass wir den unteren Weg nehmen. Ein ausgewaschener Felspfad geht in kleinen steilen Serpentinen bergab… die Stöcke helfen nicht wirklich, ich gehe in die Knie und ignoriere meine Zehe.

Schafe kreuzen unseren Weg und endlich sind wir unten angekommen, um den letzten Aufstieg für heute in Angriff zu nehmen – ich freue mich darüber, denn bergauf sind meine Zehen entlastet. Mittlerweile habe ich die Aufstiege schon lieber, als die Abstiege. 

 

Die Hütte versteckt sich gut bis zuletzt. Auch sie hat Geschichte. 1927 von der Sektion Austria des österreichischen Alpenvereines errichtet, wählte man die Weggabelung von zwei ehemaligen Saumpfaden, die über den Karnischen Alpenhauptkamm hinweg nach Süden führten und schon vor den Römern genutzt wurden. Der Name kommt von dem alten Wort „Saum“ für „Last“. Es sind Wege, die für Wagen oder Gespanne zu steil sind. Die „Säumer“ (Lastenträger) aus alten Zeiten transportierten hier ihre Güter mit Maultieren.

Diese waren für den Warenverkehr nach Italien sehr wichtig und führten über die Pässe in das südwärts gelegene Tal des Piave hinunter. Der vom Hochweißsteinhauses nach Südosten abzweigende Pfad führte über das Öfenerjoch nach Forni Avoltri, während der in südwestlicher Richtung abzweigende Pfad zum Hochalplpass und von dort nach Sappada/Bladen führte. Über diese beiden Wege wurde Holz aus dem Lesachtal zum Teil bis nach Venedig transportiert.

Erster Pächter der Hochweißsteinhauses und Initiator des Hüttenbaues war Adam Salcher, ein Gastwirt und Bergführer aus dem Lesachtal. Dieser hatte während des Ersten Weltkriegs in der Umgebung der Hütte im Aufgebot der Standschützen seinen Dienst getan. Einige alte Schilder erinnern an vergangene Zeiten. 

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hütte durch mehrere Plünderungen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Hütteninventar wurde großteils zerstört. Weitere Schäden an der Hütte traten 1975 auf, dieses Mal allerdings durch einen Lawinenabgang. Über 60 Jahre lang bewirtschaftet nun schon die Familie Guggenberger das „HWH“ und machte die Hütte durch die besonders gute Küche mit regionalen Speisen und ausgewählten Getränken bekannt.

 

Das war nicht zuviel versprochen – die Wirtin begrüßt Vroni als alte Bekannte und das Abendessen ist das kulinarische Highlight des ganzen Weges. Ich esse seit über 20 Jahren kein Fleisch mehr außer Fisch und Wild im Winter. Doch nach den letzten Etappen wähle ich ein Geschnetzeltes vom Almochsen – und stelle mir vor, wie seine Kraft auf mich übergeht – sein Fleisch ist hauchzart und aromatisch von den Bergkräutern. Die Wirtin ist bekannt für dieses Gericht und ich genieße es dankbar und glücklich. 

Allerdings stehen auf der Speisekarte noch ganz andere Dinge, die uns so manchen Lacher entlocken und wir sitzen noch mit den anderen Wanderkollegen lustig beisammen, bis die Wirtsstube leer wird. (Was gegen 21.30 der Fall war ;-))

 

Diesmal schlafen wir mit zwei jungen Mädls in einem Zimmer – leider haben sie bereits die beiden unteren Betten der Stockbetten belegt und wir müssen nach oben. Doch nach den Klettersteigen der letzten Tage ist das ein freudiges Unterfangen, auch wenn es nachts beim Klogang mit Taschenlampe sein muss. 

 

 

 

 

4. Etappe: HWH – Wolayersee Hütte

 

Tagwache 6.45 Uhr.

Wir sind mittlerweile so schnell, dass wir in 10 Minuten alles beisammen haben, sodass wir schon länger schlafen können. Allerdings ist der Morgen-Betrieb vor der Tür und auch im Zimmer so laut, dass es sowieso nicht möglich ist. 

Das Frühstück ist gut und reichlich. Es gibt überall mehr oder weniger das gleiche übliche Frühstücksbuffett – hier allerdings echten Bergkäse. 

Ich staune, wieviel manche Burschen in sich aufnehmen können und stecke mir ein Käsebrot mit Salatgurke in die Hosentasche für mittags. Unterwegs bringt das Brot mehr als die Energy-Riegel, die nur durstig machen. 

 

Wir verlassen das Hochweißsteinhaus und die nächste Etappe beginnt mit dem Anstieg zum Öfenerjoch. Von dort steigen wir ab ins liebliche Fleonstal, vorbei an der mächtigen Kulisse des Monte Avanza zur Fleons und Sissanis Alm. Von dort ein weiterer Anstieg durch den Talkessel bis zum SissanisSattel mit Tiefblick auf den Lago Bordaglia. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Giramondopass mit Blick auf den Säbelspitz.

Jetzt sind wir lange Zeit in Italien unterwegs, durch bewaldete Täler, Almen – und auch dort ist es nicht leicht den Weg zu finden. Zweimal rufen wir Wanderkollegen auf den rechten Weg, den Vroni schon kennt.

Und immer dann, wenn man meint, es ist nur noch leicht – wird man eines Besseren belehrt. Wieder ist der Pfad weggeschwemmt – wir müssen über einen Schotter-Erdrutsch durch einen Gebirgsbach klettern… jetzt bin ich diejenige, die locker voraus klettert – ist mir das doch von den Vulkanbesteigungen auf  meinen Reisen gut vertraut 😇.

 

Wir erreichen eine alte italienische Alm – sehr malerisch aus Stein erbaut und genießen kurz die Aussicht, bevor es durch einen Lärchenwald bergauf zum Sattel geht. Wasser wird wieder knapp, ich dusche im Bach und ziehe mehrmals meine Kappe durchs kalte Gebirgswasser – auch eine Technik aus heißen Ländern.

Am Weg liegen Schafskelette, sodass das Wasser aus dem Bach eher nicht trinkbar ist. Auch der See nach dem Sattel ist wenig einladend von Kuhfladen umgeben. Auf Texttafeln liest man in drei Sprachen die kriegerischen Vorfälle 1917 an diesem malerischen Ort. 

 

Wieder geht es über ein langes Schuttfeld unter der heißen Sonne zum Giramondopass, wo sogar noch das alte Staatsgrenzenschild steht. Der Giramondopass (2005 m) ist ein riesiges Hochplateau mit Felsen und kleinen grasbewachsenen Tälern. Er ist irgendwie mystisch und vollkommen ruhig... eine eigene Stimmung herrscht hier vor.

 

Der Abstieg zur Oberen Wolayer Alm und von dort noch ein Aufstieg von 300 Höhenmeter sind zu bewältigen. Wir „reisen“ also wieder in Österreich ein und nehmen den Weg zur Wolayerseehütte. Sie ist die letzte Übernachtung für uns. Davor wieder laaaaaange steil bergab (hallo Zehe!) auf den üblichen ausgewaschenen Steinserpentinen, dann quer durch große Geröllhalden zur oberen Wolayeralm – auf die ich mich schon sehr freue, soll es dort doch Getränke und Erfrischungen geben! 

Schon während es Hinwegs beschleicht mich eine Ahnung (ich habe manchmal solche Eingebungen) und tatsächlich – es ist geschlossen! Aber meine Gebete für frisches Quellwasser wurden erhört – die Wasserleitung zum Brunnen ist noch offen!

Wie kleine Kinder tauchen wir in das kühle Nass ein. Ich kühle meine Füße in einem Eimer eiskaltem Wasser und wasche meine zweiten Socken aus. Dabei beobachte ich fette Murmeltiere, die sich sonnen und ihren Winterspeck anfressen. Vroni lässt ihre Füße auch kühles Nass und grünes Gras spüren.

Ich trinke 2 Flaschen Wasser auf einen Sitz aus und nehme noch ein wenig mit, denn jetzt ist es nur noch eine Stunde bergauf. Wir schauen zum Biegengebirge und dem Kessel, der von den mächtigen Felstürmen der Karnischen Alpen gebildet wird. Die Seewarte thront über allem. Ich beginne, Wanderlieder zu singen, was Vroni sehr amüsiert. 

 

Im Schatten der Seewarte begrüßt uns die Wolayerseehütte und der Blick auf den klaren und türkisblauen See scheint beinahe unwirklich. Im Wolayersee liegen noch unzählige Kriegsrelikte. Damals lieferten sich hier italienische und österreichische Truppen erbitterte Gefechte – die Italiener mit ihren Stellungen an der Südseite, die Österreicher im Norden des Sees. Man sieht noch die Stollen und Tunneleingänge.

 

Der Hüttenwirt begrüßt uns als Bergwanderführer-Kollegen, kennt er als Bergretter doch alle Ausbildner in Kärnten und wir tauschen einige Scherze aus. Er gibt uns ein 3-Bett-Zimmer gemeinsam mit Gusti – Vroni’s Kollegin und Freundin, die uns bis hierher entgegen kommt und ihr Auto an der Unteren Valentinalm stehen hat. Aber als erstes bestellen wir unseren üblichen Sodaradler und genießen ihn mit dem überwältigenden Blick auf den türkisen Gebirgssee...

 

Beim Abendessen rutschen wir zusammen und feiern in einer lustigen, großen Tischrunde den letzten Hüttenabend.  

 

 

5. Etappe: Wolayersee Hütte – Untere Valentinalm

 

Die Nacht ist kurz und nach einem diesmal späteren Früjhstück (7.30 Uhr!) starten wir – jetzt gemeinsam mit Gusti – die letzte Etappe zur Valentinalm.

Entlang des Seeufers und über schneefreie Geröllhalden wandern wir über den 400 Millionen Jahre alten Meeresboden hinauf zum Valentintörl. Gusti ist leidenschaftliche Fotografin und Tierliebhaberin, sodass wir einige Pausen einlegen. Aber nun haben wir es nicht mehr eilig. Vroni erzählt wieder einiges zu den Bergen:

 

Hier liegt eingebettet im Kellerwandmassiv (Wolayersee) - der südlichste Gletscher Österreichs, der Eiskargletscher. Die fesselnde Naturgeschichte begann vor rund 500 Millionen Jahren. Damals lagen die ältesten Gesteine dieser Bergketten noch auf der anderen Seite unserer Erde. Seither haben sie eine wahre Odyssee um den halben Globus hinter sich. Im Perm vor ca. 270 Mill. Jahren überquerten die Kontinentschollen den Äquator und drifteten bis in die Erdneuzeit in heutige Breiten, um schließlich vor rund 20 Millionen Jahren allmählich zum heutigen Gebirge aufzusteigen.

Im Eiszeitalter, das vor rund 1,8 Millionen Jahren begann, verlieh das Eis der Landschaft den letzten „Feinschliff“. Nach dem Höhepunkt der letzten Vereisung vor 22 – 18.000 Jahren wurden bei zunehmender Wärme die bis 1000 m dicken Eisströme rasch abgebaut und die kahlen Steinwüsten zuerst von Pionierpflanzen besiedelt, denen ab ca. 14.000 – 13.000 vor heute die Wiederbewaldung folgte.

Für die Geologie sind besonders die massigen Korallenriffe der Kellerwandund Hohe-Warte-Region in kürzester räumlicher Distanz zu Tiefseekalken rund um den Wolayersee weltweit einzigartig. Die Wanderroute „Geo-Trail“ verbindet einige an Fossilienvorkommen reiche Bergwege und ist der längste geologische Wanderweg Europas.

 

Es ist geschafft – am Valentintörl (2138 m) blicken wir auf den höchsten Gipfel des Karnischen Höhenwegs - die Hohe Warte (2780 m) mit ihrer Friedensglocke. Wir halten inne und genießen die friedliche Stimmung...

 

Früher war hier alles noch mit Schneefeldern gefüllt, an deren Rändern man wanderte. Heute müssen wir unten in der Geröllrinne dahinturnen. Es geht durch das imposante Valentintal, das links und rechts von den hohen Kalkfelsen eingezäunt ist und endlich kommen wir unten an, wo der Weg wieder lieblicher durch grüne Gräser führt. Hier sehen wir auch viele Murmeltiere und wir werden nicht müde, sie zu beobachten. Vroni weiß einiges über sie.

Der Name „Murmeltier“ hat nichts mit der Murmel oder dem Verb „murmeln“ zu tun. Er geht auf das althochdeutsche „murmunto“ zurück, das wiederum aus dem lateinischen „mus montis“ („Bergmaus“) entlehnt ist. Das weibliche Murmeltier wird „Katze“, das männliche „Bär“ und Jungtiere „Affe“ genannt. Sie gehören zu der Gattung echter Erdhörnchen und werden bis zu 7 kg schwer und 15 Jahre alt. Sie leben in Familienverbänden und bringen nach einer Tragzeit von dreißig Tagen zwei bis fünf Junge zur Welt.

Murmeltiere bauen sehr ausgedehnte Gangsysteme bis zu 70 Meter Länge, welche aus Fluchtröhren und separatem Dauerbau bestehen können.

Im Winter halten Murmeltiere sechs bis neun Monate  Winterschlaf in mit Gras ausgepolsterten "Schlafkesseln". Für die lange Ruhezeit fressen sie sich während der kurzen Sommermonate große Fettreserven an. Ihre Nahrung sind Gräser und Kräuter, seltener Früchte, Samen und Insekten. Während sie schlafen, sinkt die Atmung auf etwa zwei Züge pro Minute und der Herzschlag von 200 auf 20 Schläge pro Minute. Das Erwachen wird über die Außentemperatur ausgelöst.

Wir kennen die Murmeltiersalbe, die mit ihrem Fett hergestellt wird und  in der Volksmedizin gegen Husten, Magenleiden, Übelkeit, zur Blutreinigung oder allgemein zur Stärkung; äußerlich gegen Gliederschmerzen, Frostbeulen oder Sehnenzerrung eingesetzt wird.

 

Wir steigen nun begleitet von zahlreichen Murmeltierkolonien zur Oberen Valentinalm ab. Der Pfad führt uns immer tiefer, in Wälder hinein, die Gebirgsbäche werden zu kleinen Flüssen, die Vegetation wird üppiger und bunter. Die Luft immer wärmer. 

Die letzten Meter noch und wir sind an der Unteren Valentinalm (1.220 m) angekommen!

 

Auch hier treffen wir Wanderkollegen und freuen uns über eine Riesenportion Kaspressknödel mit Salat, begleitet von ein paar Späßen mit den Wirtsleuten. Ich lade auf die Getränke ein und bedanke mich für die wunderschönen Tage, die doch auch sehr herausfordernd waren. Wie immer nach einer solchen Zeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

 

Der Karnische Höhenweg geht noch ein Stück weiter, jetzt mit leichteren Etappen auf geringerer Höhe über Almen und findet sein Ende am Kapin (1528 m) bei Thörl Maglern. Wir beschließen, ihn bei Gelegenheit zu vollenden und auch andere Wege gemeinsam zu gehen.  

 

Am Heimweg habe ich das Gefühl, mindestens ein Monat weg gewesen zu sein – nicht nur ein paar Tage.

Unglaublich, wie erfüllt jeder Tag war und wie auch ich mich dabei verändert habe…

 

Es war unbeschreiblich schön - wie in den Anden… Lamas, Schafe, Pferde getroffen und auf Du und Du mit den ganz hohen Bergen… auf 2700 m - jeder Schritt eine Entscheidung… immer nahe am Abgrund... volle Konzentration über Stunden - Tag für Tag. Die Geschichte ständig vor Augen geht jeder Wanderer für den Frieden. Am Friedensweg - Via della Pace - der Alpen.